Der gekündigte Arbeitnehmer muss für seinen Anspruch auf Annahmeverzugslohn nur zumutbare anderweitige Arbeit aufnehmen, darf sich aber nicht mit einer zu geringen Vergütung zufriedengeben und außerdem durch sein Verhalten eine Arbeitsvermittlung nicht verhindern.
Während des Kündigungsschutzverfahrens die Füße hochlegen und bei Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung den Annahmeverzugslohn abkassieren? So leicht geht’s nicht! Beim böswilligen Unterlassen anderweitigen Erwerbs erfolgt eine Anrechnung, was der Arbeitnehmer hätte verdienen können. In zwei Entscheidungen setzt das Bundesarbeitsgericht (BAG) im Rahmen der Gesamtabwägung weitere Kriterien zur Beurteilung der Böswilligkeit des Unterlassens und Zumutbarkeit der anderweitigen Arbeit fest.
Gesetzliche Vorgaben zum Annahmeverzugslohn
Spricht der Arbeitgeber eine Kündigung aus, liegt in dieser zugleich die Erklärung, die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers nach Ablauf der Kündigungsfrist bzw. bei der fristlosen Kündigung nach deren Zugang nicht mehr anzunehmen (ständige Rechtsprechung, BAG 29.03.2023 – 5 AZR 255/22, Rn. 13). Erhebt der Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage und stellt das Gericht die Unwirksamkeit der Kündigung fest, schuldet der Arbeitgeber ab dem sich aus der Kündigung ergebenden Beendigungszeitpunkt sog. Annahmeverzugslohn gemäß § 615 S. 1 BGB. Dabei muss sich der Arbeitnehmer gemäß § 11 KSchG anrechnen lassen
1. was er durch anderweitige Arbeit verdient hat
2. was er hätte verdienen können, wenn er es nicht böswillig unterlassen hätte, eine ihm zumutbare Arbeit anzunehmen
sowie
3. was ihm an öffentlich-rechtlichen Leistungen gezahlt worden ist (z.B. Arbeitslosengeld).
Anderweitiger Verdienst
Anzurechnen sind neben den Entgelten aus einem Arbeitsverhältnis auch Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit oder einem freien Mitarbeiterverhältnis. Entscheidend ist der Wert des Erwerbs, der kausal durch das Freiwerden der Arbeitskraft ermöglicht worden ist. Kapitalbeteiligungen bleiben unberücksichtigt, es sei denn, die Beteiligung wird als Gegenleistung einer Arbeitsleistung gewährt. Dies kann z.B. der Fall sein, wenn der Geschäftsführer einer GmbH für seine Tätigkeit einen Kommanditanteil an der GmbH & Co. KG erhält, deren voll haftender Gesellschafter die GmbH ist (BAG, Urteil v. 24.01.2024 – 5 AZR 331/22).
Böswilliges Unterlassen zumutbarer anderweitiger Arbeit
Ein böswilliges Unterlassen einer anderweitigen Arbeit liegt vor, wenn dem Arbeitnehmer ein Vorwurf daraus gemacht werden kann, dass er während des Annahmeverzugs vorsätzlich untätig bleibt und eine ihm unter Beachtung des Grundrechts auf freie Arbeitsplatzwahl zumutbare anderweitige Arbeit nicht aufnimmt oder die Aufnahme der Arbeit bewusst verhindert. Die Beurteilung der Böswilligkeit erfordert stets eine unter Bewertung aller Umstände des konkreten Falls vorzunehmende Gesamtabwägung der beiderseitigen Interessen.
(1) BAG, Urteil v. 24.01.2024 – 5 AZR 331/22
In einem ersten Fall vor dem BAG hat die gekündigte Geschäftsführerin eine neue Geschäftsführertätigkeit bei einer anderen GmbH aufgenommen. Ihr wurde für die neue Tätigkeit lediglich eine Gewinnbeteiligungszusage gewährt. Anderweitiges Entgelt hatte sie nicht erhalten. Da die GmbH Verluste erzielt hat, erhielt die Geschäftsführerin während des Annahmeverzuges von der neuen Arbeitgeberin überhaupt keine anrechenbare Vergütung. Das BAG hat in diesem Fall klargestellt, dass eine Böswilligkeit auch dann vorliegen kann, wenn sich die Arbeitnehmerin im Hinblick auf die Zahlungspflicht des Arbeitgebers vorsätzlich mit einer zu geringen Vergütung zufriedengibt.
(2) BAG, Urteil v. 07.02.2024 – 5 AZR 177/23
In einem weiteren Fall hatte sich der Arbeitnehmer nach der Kündigung zunächst bei der Arbeitsagentur für Arbeit arbeitsuchend gemeldet. Dem Sachbearbeiter hatte er dabei mitgeteilt, er möchte keine Stellenangebote zugesendet bekommen und könne sich nur dann bewerben, wenn man ihn dazu zwinge. Er werde einem potenziellen Arbeitgeber aber bei Bewerbungen – noch vor einem Vorstellungsgespräch – mitteilen, dass ein Gerichtsverfahren mit dem letzten Arbeitgeber laufe und er unbedingt dort weiterarbeiten wolle. Aufgrund dessen hatte der Sachbearbeiter ihm während des Verfahrens keine Stellenangebote übermittelt.
Zum einen führt das BAG aus, dass bei der Gesamtabwägung berücksichtigt werden könne, ob der Arbeitnehmer seiner sozialrechtlichen Verpflichtung nachkommt, sich gemäß § 38 Abs. 1 SGB III arbeitsuchend zu melden. Jedoch sei auch das Verhalten des Arbeitnehmers zu seinen Lasten zu berücksichtigen, mit dem er verhinderte, dass die Agentur für Arbeit ihrem Vermittlungsauftrag nachkommt.
Zum anderen beurteile sich die Zumutbarkeit der unterlassenen Arbeit nach der Art der Arbeit, der Person des Arbeitgebers oder den sonstigen Arbeitsbedingungen. Eine erhebliche Verschlechterung der Arbeitsbedingungen müsse der Arbeitnehmer grundsätzlich nicht akzeptieren.
Die Bewertung des BAG führte in beiden Fällen zur Aufhebung der vorinstanzlichen Urteile. Unter Berücksichtigung der gesetzten Maßstäbe muss das jeweilige Landesarbeitsgericht (LAG) nun neu verhandeln und entscheiden.
Praxistipp:
Nicht nur um sich Ansprüche auf Arbeitslosengeld zu sichern, sondern auch um bei einer erfolgreichen Kündigungsschutzklage einen Anspruch auf Annahmeverzugslohn zu haben, sollte sich ein klagender Arbeitnehmer innerhalb der in § 38 Abs. 1 SGB III gesetzten Fristen arbeitsuchend melden. Im Laufe des Kündigungsschutzverfahrens besteht zwar keine Verpflichtung, eine unzumutbare Arbeit annehmen, jedoch ist es ratsam, hinreichende Eigenbemühungen zur Erzielung eines anderweitigen, angemessenen Verdienstes erkennen zu lassen. Denn ein böswilliges Unterlassen kann den Annahmeverzugslohn schmälern oder gänzlich ausschließen. Um sich Annahmeverzugslohnansprüche zu sichern oder auch um das Risiko auf Seiten des Arbeitgebers zu minimieren, sollte sich frühzeitig Rechtsrat eingeholt werden.
Stand: 19.08.2024
Ansprechpartner:
Sabine Stölzel (Rechtsanwältin, Fachanwältin für Arbeitsrecht)
Cajus Wellens (Rechtsanwalt)
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