Gewerbliche Mietverträge und Corona-Pandemie: Anpassung des Mietzinses

COVID-19-Gesetz: hier geht es zum Gesetzestext

In unserem ersten Mandantenrundschreiben vom 02.04.2020 haben wir u.a. umfassend über den vorübergehenden Kündigungsschutz bei Mietverträgen durch das Covid-19 Gesetz berichtet. Dementsprechend bleibt der Mieter grundsätzlich zur Mietzahlung verpflichtet. Zahlt er nicht, gerät er in Verzug und muss zusätzlich Zinsen begleichen. Unser heutiges, nunmehr 3. Mandantenrundschreiben zeigt Lösungsmöglichkeiten für den Mieter auf, die bei Gewerberaummietverträgen neben einer Stundungsvereinbarung in Betracht kommen:

  • Anspruch auf Herabsetzung der Miete aufgrund „Wegfalls der Geschäftsgrundlage“ (§ 313 Abs. 1 BGB)
  • Voraussetzungen und Abwägungen im Allgemeinen
  • Zumutbarkeit der Miete aufgrund staatlicher Fördermöglichkeiten
  • Betroffenheit anderer Einnahmequellen durch die Corona-Pandemie
  • Hinweise für Verhandlungen mit dem Vermieter
  • Weitere Reaktionsmöglichkeiten des Mieters

 

I. Vorbemerkungen

Uns erreichen momentan zahlreiche Anfragen, ob der gewerbliche Mieter die Miete mindern kann, wenn durch die Folgen der Pandemie, bzw. durch die Allgemeinverfügung das Geschäft geschlossen bleiben muss und die Umsätze ausbleiben. Die Untersagung des Betriebs auf gewerblichen Mietflächen wegen der Covid-19-Pandemie stellt zunächst keinen Mangel des Mietgegenstands dar und berechtigt daher nicht zu Mietminderungen gem. § 536 Abs. 1 BGB.

Mieter, die von den derzeitigen Covid-19-Maßnahmen existentiell betroffen sind, können jedoch unter Umständen gem. § 313 Abs. 1 BGB eine Anpassung des Mietverhältnisses wegen Störung der Geschäftsgrundlage verlangen.

 

II. Anspruch auf Mietherabsetzung laut § 313 Abs. 1 BGB

1. Zumutbarkeit der Situation

1.1 Gemäß § 313 Abs. 1 BGB können die Parteien eines Vertrags die Anpassung des Vertrags verlangen, wenn sich nach Vertragsschluss Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, schwer wiegend verändert haben und die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen hätten, wenn sie die Veränderung vorausgesehen hätten. Weitere Voraussetzung ist, dass der eine Änderung verlangenden Partei unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.

1.2 Im Schuldrecht gilt der Grundsatz der Vertragstreue. Demzufolge sind geschlossene Verträge in der Regel auch dann einzuhalten, wenn sie für eine Partei aufgrund nach dem Vertragsabschluss eingetretener Umstände nachteilig geworden sind. § 313 Abs. 1 BGB eröffnet eine Ausnahme vom Grundsatz der Vertragstreue, der grundsätzlich an erhöhte Anforderungen gebunden ist.

 

2. Unvorhersehbare Umstände

2.1  Nach der Rechtsprechung des BGH wird die Grundlage eines Vertrags durch die bei Vertragsschluss bestehenden gemeinsamen Vorstellungen der Parteien gebildet (BGH, BeckRS 2019, 35944 Rz. 21). Im Falle von Covid-19 werden zumindest die Parteien aller vor Beginn des Jahres 2020 geschlossenen Mietverträge bei Vertragsabschluss eine solche Pandemie nicht vorhergesehen haben. Sie gingen davon aus, dass eine solche Entwicklung nicht eintreten würde. Dieser Umstand hat sich schwerwiegend geändert. Hätten die Parteien dies vorhergesehen, hätten sie Mietverträge entweder gar nicht oder nur mit entsprechenden Regelungen abgeschlossen. Noch weniger hat jemand damit gerechnet, dass durch staatliche Anordnung Geschäfte geschlossen werden und so massiv in die Grundrechte der Gewerbetreibenden eingegriffen wird (Art. 12 GG).

2.2 Grundsätzlich gehören behördliche Eingriffe zu den möglichen Störungen im Sinne von § 313 I GB (Palandt/Grüneberg, 20.Aufl. § 313 BGB, Rz. 34).

 

III.  Ausschluss des Anspruchs auf Mietanpassung

1. Ein Anspruch auf Vertragsanpassung gemäß § 313 Abs. 1 BGB ist jedoch i.d.R. ausgeschlossen, wenn es um die Verwirklichung eines Risikos geht, das durch die vertragliche Risikoverteilung einer Vertragspartei bereits zugewiesen worden ist.

2. Allgemeine Risikoabwägungen hinsichtlich Gewerberaummietvertrag

2.1  Der Mieter trägt zwar grundsätzlich das sog. Verwendungsrisiko. Für das gesetzlich angeordnete Rauchverbot wurde das durch den BGH zu Lasten der Mieter entschieden. Ob auch die Covid-19-Betriebsverbote wegen ihres fehlenden Bezugs zur Beschaffenheit des Mietgegenstands dazu gehören, sei dahingestellt. Denn umgekehrt trägt der Vermieter das Risiko der fehlenden Fähigkeit zur Gebrauchsüberlassung (MüKo, § 313, Rz. 73; BGH ZMR, 1996, 309).

2.2  Abweichungen vom vorgenannten Grundsatz können in extremen Ausnahmefällen gelten, “in denen eine unvorhergesehene Entwicklung mit unter Umständen existenziell bedeutsamen Folgen für eine Partei eintritt” (BGH, NJW 2020, 331). In dem Fall des BGH hatte eine Gemeinde Räume zur Unterbringung von Flüchtlingen angemietet und wollte sich vom Vertrag lösen, nachdem die erwarteten Flüchtlinge ausblieben. Hier, so der BGH, habe sich das Verwendungsrisiko der Gemeinde verwirklicht und deshalb sei für die Anwendung des § 313 Abs. 1 BGB kein Raum, auch wenn die Gemeinde für die Räume keine Verwendung hatte. Entscheidend war dabei für den BGH, dass die Mietzahlungspflicht trotz des Ausbleibens der erwarteten Flüchtlinge für die Gemeinde als Mieter keine existentiell bedeutsamen Folgen hatte.

2.3  Ein wesentlicher Gesichtspunkt, der für oder gegen ein Anpassungsrecht des Mieters spricht, ist die vertragliche Regelung zur Risikoverteilung. Dabei kam es entscheidend auf die potentielle Vorhersehbarkeit der wirtschaftlichen Unmöglichkeit an. Für die vorliegende Pandemie indes gilt, dass die Unmöglichkeit der Gewinnerzielung für einen längeren Zeitraum bei Vertragsschluss gerade NICHT absehbar war.

2.4  Mag man das für ein vorübergehendes Zugangshindernis (z.Bsp. öffentliche Baustelle) noch bejahen und insoweit das Verwertungsrisiko dem Mieter zuschreiben, so findet das jedenfalls dann Grenzen, wenn die Folgen der Pandemie und der behördlichen Zwangsschließung auf den Umsatz über einen längeren Zeitraum spürbar bleiben. Insofern kann keine Rede davon sein, dass der Mietvertrag eine voraussehbare vertragliche Risikoübernahme enthält, die sich durch die aktuelle Pandemie verwirklicht hätte.

Der Mieter kann also ggf. die Verwirklichung eines Risikos geltend machen, das er mit Abschluss des Mietvertrags mangels Vorhersehbarkeit nicht übernommen hat.

3. Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung

Im Ergebnis kann sich der Vermieter auf eine Risikoverteilung zu Lasten des Mieters im Rahmen von § 313 I BGB dann nicht mehr berufen, wenn der verteilte Risikobereich überschritten wurde. Wenn also ein so krasses Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung entsteht, dass ein Festhalten am Vertrag nicht zumutbar ist (BGH BB 56, 254). Das sind praktisch die Fälle, in denen die frühere Rechtsprechung wirtschaftliche Unmöglichkeit angenommen hat (Palandt/Grüneberg, 20. Aufl. § 313 BGB, Rz. 32). Das ist beispielsweise der Fall, wenn die Herstellungskosten auf das 15fache oder nur um 60 % steigen; das zu verarbeitende Material beschlagnahmt wird; wenn der Betrieb brennt oder das Material durch höhere Gewalt zerstört wird und kaum wiederbeschafft werden kann. Das müsste also erst Recht gelten, wenn durch behördliche Maßnahme der Mieter keinen Umsatz mehr erwirtschaften kann und diesen Umsatz auch nicht durch alternative Vertriebskanäle kompensieren kann.

4. Existenzbedrohung

Es kommt letztlich auch darauf an, ob die nicht vorhergesehene Änderung der Umstände, hier also die Pandemie, für eine Partei mit unter Umständen existentiell bedeutsamen, unzumutbaren Folgen einhergeht. Wo die Grenze der Zumutbarkeit verläuft, hängt dabei von der Art des Vertrags, der aufgetretenen Störung sowie von den Umständen des Einzelfalls ab (Lorenz, in: BeckOK BGB, 53. Ed. 01.02.2020, § 313 Rz. 31). Es ist also im Einzelfall von Bedeutung, welche Rolle der Mietgegenstand im Gesamtbetrieb des Mieters spielt. Ebenso kommt es darauf an, inwiefern andere Einkommensquellen des Mieters von der Pandemie oder den Pandemiemaßnahmen betroffen sind und ob der Mieter staatliche Hilfsmaßnahmen in Anspruch nehmen kann.

 

IV. Verhandlungsgestaltung

1. Verhandlungsdurchführung

Besteht ein Anspruch auf Vertragsanpassung, ist der Vermieter zur Mitwirkung bei der Anpassung verpflichtet. Er muss ergebnisorientiert verhandeln. Kommt er dieser Pflicht nicht nach, verletzt er eine vertragliche Mitwirkungspflicht. Er kann deshalb gem. § 280 Abs. 1 BGB schadensersatzpflichtig werden (BGH, NJW 2012, 373 Rz. 33). Wenn der Vermieter sich einem berechtigten Anpassungsverlangen verschließt, kann der Mieter die Anpassung auch gerichtlich durchsetzen (was es durch eine einvernehmliche Einigung gerade zu vermeiden gilt). Hierzu müsste er die ausformulierte Änderung des Vertrags zum Gegenstand der Klage machen (BGH, NJW 2012, 373 Rz. 34).

2. Möglichkeiten der Vertragsänderung

Kommt es zu Anpassungsverhandlungen oder will der Mieter eine angemessene Anpassung seines Vertrags einklagen, ist bei der Anpassung insbesondere auch über die Anwendung flexibler Mietmodelle nachzudenken. Diese können beispielsweise auf den Umsätzen des Mieters im Mietgegenstand beruhen. Daneben kommt vorrangig eine teilweise oder vollständige Aussetzung der Mietzahlungspflicht in Betracht. Grundsätzlich soll eine flexible Befristung solcher Vertragsänderungen erwogen werden, damit nicht nachverhandelt werden muss, wenn Betriebsverbote oder Betriebsbeschränkungen länger oder kürzer andauern als erwartet.

 

V. Weitere Handlungsalternativen des Mieters

1. Solange es nicht zu einer angemessenen Vertragsanpassung gekommen ist, kann der Mieter unangemessenen Zahlungsverlangen des Vermieters gem. § 242 BGB als Einrede entgegenhalten, dass er nicht zur Zahlung von Beträgen verpflichtet sein kann, wenn er diese aufgrund seines Anpassungsanspruchs umgehend wieder herausverlangen könnte. Er muss also, solange er andernfalls existentiell betroffen wäre, nur die in seiner individuellen Situation angemessene Miete zahlen. Gemäß Artikel 240 EGBGB, § 2 droht insoweit bis 30.6.2022 auch keine Kündigung.

2. Die einseitige Festlegung der vermeintlich rechtmäßigen Miethöhe ist jedoch problematisch und sollte möglichst nicht ohne Rechtsbeistand erfolgen, um (kostenauslösende) Streitigkeiten mit dem Vermieter zu vermeiden.

3. Als Ultima Ratio sieht § 313 Abs. 3 BGB zudem das Recht zur Kündigung des Vertrags vor, wenn eine Anpassung rechtswidrig verweigert, nicht möglich ist oder einer Vertragspartei nicht zumutbar ist.

 

VI. Handlungsempfehlung

Betroffene gewerbliche Mieter sollten also nach zwingender Bewertung ihres Einzelfalles bzw. anwaltlicher Beratung den Vermieter zunächst auffordern, über eine Mietanpassung zu verhandeln. Das betrifft in erster Linie den Zeitraum der angeordneten Schließung (derzeit bis 20.04.2020). Soweit den Mieter auch darüber hinaus die mittelfristigen Folgen der Pandemie durch den Ausfall an Kunden und Umsatz nicht absehbar ist, müsste auch über eine länger andauernde Mietanpassung verhandelt werden. Unsere Kanzlei steht Ihnen hierzu gern zur Verfügung.

hier geht es zu unserem Mandantenrundschreiben vom 02.04.2020

hier geht es zu unserem Mandantenrundschreiben vom 07.04.2020

Download Informationsschreiben zu gewerbliche Mietverträge und Corona-Pandemie

Rundschreiben zu Mietanpassung nach § 313 I BGB