Elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU)

Der „gelbe Zettel“, wie wir ihn kennen, wird bald nicht mehr Teil des Arbeitslebens sein. Denn der Nachweis der Arbeitsunfähigkeit soll ab dem 01.01.2023 elektronisch zwischen Arbeitgeber und Krankenkasse erfolgen. Dies sieht das Bürokratieentlastungsgesetz III bereits seit 2019 vor. Die Umsetzung wurde jedoch mehrmals, zuletzt im Februar 2022 verschoben.

Was gibt es für Arbeitgeber bei der Neuregelung zur Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu beachten?

Digitale Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Bislang regelt § 5 EntgFG , dass der Arbeitnehmer spätestens am 4. Tag nach Beginn der Erkrankung ein ärztliches Attest über das Bestehen und die voraussichtliche Dauer der Erkrankung bei seinem Arbeitgeber vorlegen muss. Die Krankenkasse bekam die notwendigen Informationen zur Erkrankung des Arbeitnehmers in Form der ärztlichen Bescheinigung ebenfalls vom Arbeitnehmer selbst übermittelt.

Letzteres hat sich bereits Anfang des Jahres geändert. Vertragsärzte/innen sind seit dem 01.01.2022 grundsätzlich verpflichtet, die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen elektronisch an die Krankenkassen zu übermitteln. Voraussetzung ist, dass der Arzt oder die Ärztin technisch dazu in der Lage ist.

Ab dem 01.01.2023 soll dann im zweiten Schritt auch der Arbeitgeber elektronisch die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung seiner gesetzlich krankenversicherten Arbeitnehmer erhalten. Zur gesetzlichen Umsetzung dieser Neuerung wird § 5 EntgFG  geändert und ein neuer Absatz 1a eingefügt.

Ausnahmen von der Teilnahme am elektronischen Verfahren:

Nicht jeder Arbeitnehmer ist Teil des digitalen Verfahrens. Vielmehr werden einige Arbeitnehmer weiterhin verpflichtet sein, die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in Papierform bei ihrem Arbeitgeber einzureichen. Ausgenommen von der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bleiben Minijobber in Privathaushalten und Arbeitnehmer, bei denen die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit durch einen Arzt erfolgt, der nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnimmt. Minijobber, die nicht in Privathaushalten beschäftigt sind, nehmen hingegen am elektronischen Verfahren teil. Aus diesem Grund sollte bis zum 31.12.2022 die zuständige Krankenkasse bei der Lohnabrechnungsstelle des Arbeitgebers hinterlegt sein.

Meldepflicht des Arbeitnehmers bleibt bestehen

Der Arbeitnehmer bleibt weiterhin verpflichtet, den Arbeitgeber über die festgestellte Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer zu informieren. Um in etwaigen Störfällen die Arbeitsunfähigkeit gegenüber dem Arbeitgeber zu beweisen, erhält der Arbeitnehmer auch künftig einen Nachweis in Papierform direkt von seinem behandelnden Arzt. Diesen hat der Arbeitnehmer aufzubewahren. Denn ihm kommt ein hoher Beweiswert zu, der es dem Arbeitnehmer in der Regel ermöglicht, seine Arbeitsunfähigkeit außergerichtlich und gerichtlich nachzuweisen.

Abrufverfahren zwischen Arbeitgeber und Krankenkasse

Die Informationen zur ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erhalten Arbeitgeber in Zukunft nur, indem sie proaktiv tätig werden. Hat der Arbeitgeber Kenntnis erlangt, dass bei seinem Arbeitnehmer eine Arbeitsunfähigkeit ärztlich festgestellt wurde, kann er die Daten hierzu mit dem Entgeltabrechnungsprogramm bei der zuständigen Krankenkasse abrufen. Ist eine externe Stelle mit der Lohnabrechnung beauftragt, muss sichergestellt werden, dass diese die Informationen über Krankmeldungen zeitnah erhalten, damit die Daten von der beauftragten Lohnabrechnungsstelle bei den Krankenkassen abgerufen werden können.

Mitgeteilt werden soll dem Arbeitgeber neben Beginn und Ende der Arbeitsunfähigkeit auch das Datum der ärztlichen Feststellung, ob es sich um eine Erst- oder Folgebescheinigung handelt sowie ob Anhaltspunkte vorliegen, dass die Arbeitsunfähigkeit auf einem Arbeitsunfall oder sonstigen Unfall oder auf den Folgen eines Arbeitsunfalls oder sonstigen Unfalls beruht.

360558 - 2.Grafik zum Blog-Beitrag Arbeitsrecht zur Einführung der eAU

Seit dem 01.01.2022 läuft bereits ein gesetzliches Pilotverfahren. Hier können Arbeitgeber schon jetzt testen, ob sie technisch dazu in der Lage sind, die Daten zur Arbeitsunfähigkeit abzurufen.

Neben den unmittelbaren Umstellungen, die mit der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung einhergehen, sind auch arbeitsvertraglich Neuerungen notwendig. Zu beachten ist, dass durch die Änderung des Entgeltfortzahlungsgesetzes in vielen Fällen auch die Regelungen in den Arbeitsverträgen nicht mehr aktuell sind und daher zeitnah angepasst werden sollten, damit zumindest bei Neueinstellungen die vertragliche Regelung den gesetzlichen Grundlagen entspricht.

Stand: 07.04.2022

Ansprechpartner:

Sabine Stölzel (Rechtsanwältin, Fachanwältin für Arbeitsrecht)

Melanie Wilhelm (LL.M., Rechtsanwältin)

Kontaktdaten:

kontakt@stoelzel-gbr.de

+49 (0)351 486 70 70

BAG: Erschütterung des Beweiswerts einer AU-Bescheinigung

 

Einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kommt in der Regel ein hoher Beweiswert zu, der nicht ohne Weiteres erschüttert werden kann. Umso bedeutender ist das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 08.09.2021 (Az.: 5 AZR 149/21) zur Krankschreibung eines Arbeitnehmers ab dem Tag der Kündigung. Nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts können an einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erhebliche Zweifel bestehen, wenn der Arbeitnehmer am Tag der Kündigung passgenau für die Dauer der Kündigungsfrist krankgeschrieben wird.

 

Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist nicht unerschütterlich

Die Arbeitnehmerin reichte am 08.02.2019 ihre Kündigung beim Arbeitgeber ein. Die Kündigungsfrist lief bis zum 22.02.2019. Zugleich übermittelte die Arbeitnehmerin auch eine Krankschreibung, die die Arbeitsunfähigkeit ebenfalls vom 08.02.2019 bis 22.02.2019 bescheinigte.

Der Arbeitgeber zahlte der Arbeitnehmerin daraufhin nur die Vergütung für die Zeit vom 01.02.2019 bis 07.02.2019. Für den Zeitraum vom 08.02.2019 bis 22.02.2019 erhielt die Arbeitnehmerin keine Vergütung von ihrem Arbeitgeber. Daraufhin erhob die Arbeitnehmerin Klage vor dem Arbeitsgericht auf Zahlung der Vergütung für den Zeitraum vom 08.02.2019 bis 22.02.2019.

Die Vorinstanzen [Arbeitsgericht Braunschweig (Urteil vom 24.07.2019, Az.: 3 Ca 95/19) und LAG Niedersachsen (Urteil vom 13.10.2020, Az.: 10 Sa 619/19)] teilten die Auffassung der Arbeitnehmerin und sprachen ihr die Vergütung für den Zeitraum der Kündigungsfrist zu.

Das Bundesarbeitsgericht hat die Klage abgewiesen.

Erhebliche Zweifel an der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 EntgFG i.V.m. § 5 Abs. 1 S. 2 EntgFG ist die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung das gesetzlich ausdrücklich vorgesehene und insoweit wichtigste Beweismittel für die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit. Aus diesem Grund kommt einer ordnungsgemäß ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ein enormer Beweiswert zu. Der Arbeitgeber kann den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nur dadurch erschüttern, dass er tatsächliche Umstände darlegt und beweist, die Zweifel an der Erkrankung des Arbeitnehmers ergeben. An den Vortrag des Arbeitgebers dürfen unter Berücksichtigung seiner eingeschränkten Erkenntnismöglichkeiten aber keine überhöhten Anforderungen gestellt werden.

Deckt eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung passgenau den Zeitraum zwischen Kündigung und Beendigung des Arbeitsverhältnisses ab, ist der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert. Denn aufgrund der Koinzidenz zwischen bescheinigter Arbeitsunfähigkeit sowie Beginn und Ende der Kündigungsfrist bestehen ernsthafte Zweifel am Bestehen der Arbeitsunfähigkeit. Dann ist wieder der Arbeitnehmer in der Pflicht, das Bestehen der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit konkret und nicht nur durch die Bescheinigung dazulegen und zu beweisen.

Diesen Beweis konnte die Arbeitnehmerin in dem vom Bundesarbeitsgericht zu entscheidenden Sachverhalt nicht erbringen, sodass der Arbeitgeber berechtigt war, die Entgeltfortzahlung zu verweigern.

Verfahrensgang:

BAG, Urteil vom 08.09.2021, Az.: 5 AZR 149/21; LAG Niedersachsen, Urteil vom 13.10.2020, Az.: 10 Sa 619/19; Arbeitsgericht Braunschweig, Urteil vom 24.07.2019, Az.: 3 Ca 95/19

Praxistipp:

Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts wird für viele Arbeitgeber eine Erleichterung darstellen. Denn damit ist das „Krankfeiern“ zum Ende des Arbeitsverhältnisses zumindest bei der Eigenkündigung des Arbeitnehmers nicht mehr ohne Weiteres hinzunehmen. Vielmehr obliegt es nun dem Arbeitnehmer, deutlich konkreter seine Arbeitsunfähigkeit nachzuweisen. Gelingt ihm das nicht, kann der Arbeitgeber die Entgeltfortzahlung einstellen.

Stand: 07.04.2022

Ansprechpartner:

Sabine Stölzel (Rechtsanwältin, Fachanwältin für Arbeitsrecht)

Melanie Wilhelm (LL.M., Rechtsanwältin)

Kontaktdaten:

kontakt@stoelzel-gbr.de

+49 (0)351 486 70 70