Kryptogewinne sind steuerpflichtig

Der Bundesfinanzhof stellte explizit fest, dass auch mit Kryptowährungen erzielte Kursgewinne steuerpflichtig sind (Urteil vom 14.02.2023 – IX R 3/22). Es gilt die Spekulationsfrist von einem Jahr.

3,4 Millionen Euro Gewinn mit Bitcoin

Der Steuerpflichtige kaufte im Jahr 2014 für 22.585 EUR 24 Bitcoins. Er erzielte im Krypto-Boom des Jahres 2017 einen sagenhaften Gewinn von rund 3,4 Millionen Euro, nachdem er die im Jahr 2014 gekauften Bitcoin im Laufe des Jahres 2017 in zwei andere Kryptowährungen und wieder zurück in Bitcoin getauscht hatte. Dem Kläger wurde diese Tauschaktion zum Verhängnis: Das Finanzamt setzte 1,4 Millionen Euro Einkommensteuer fest, weil zwischen Kauf und Verkauf jeweils weniger als 1 Jahr lagen und die Transaktionen damit als private Spekulationsgeschäfte angesehen wurden. Dagegen klagte der Steuerpflichtige beim Finanzgericht. Das Finanzgericht teilte mit Urteil vom 25.11.2021 (Az.: 14 K 1178/20) die Auffassung des Finanzamts; der Kläger legte Revision ein.

Kryptowährungen sind „andere“ Wirtschaftsgüter

Der Bundesfinanzhof hat entschieden, dass Veräußerungsgewinne, welche ein Steuerpflichtiger innerhalb eines Jahres aus dem Verkauf oder dem Tausch mit Kryptowährungen, wie beispielsweise Bitcoin, Ethereum und Monero, erzielt, der Besteuerung als privates Veräußerungsgeschäft unterfallen. Der IX. Senat des Bundefinanzhofs (Urteil vom 14.02.2023, Az.: IX R 3/22) lehnte die Argumentation des Klägers, dass Kryptowährungen nichts Greifbares, nichts Tatsächliches und daher keine Wirtschaftsgüter seien, ausdrücklich ab. Nach Auffassung der Richter am obersten deutschen Finanzgericht gehören zu den „anderen Wirtschaftsgütern“, welche Gegenstand eines privaten Veräußerungsgeschäftes im Sinne des § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG sein können, auch virtuelle Währungen in der Gestalt von Currency Token.

Eine steuerlich relevante „Anschaffung“ liegt vor, sofern diese im Tausch gegen Euro, gegen eine Fremdwährung oder gegen eine andere virtuelle Währung erworben werden. Sie werden „veräußert“, wenn sie in Euro oder gegen eine Fremdwährung zurückgetauscht oder in andere Currency Token umgetauscht werden.

Das am 14.02.2023 veröffentlichte Urteil des Bundesfinanzhofes (Az.: IX R 3/22) ist nun die erste höchstrichterliche Entscheidung zum Thema Kryptowährungen.

Verfahrensgang:

FG Köln, Urteil vom 25.11.2021, Az.: 14 K 1178/20

BFH, Urteil vom 14.02.2023, Az.: IX R 3/22

Stand: 13.03.2023

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Wegweisendes Urteil zur Zeitarbeit

Der EuGH hat am 15.12.2022 ein wegweisendes Urteil (Az.: C-311/21) für die gesamte Zeitarbeitsbranche erlassen. Damit gab der EuGH wesentliche Arbeitsbedingungen für diese Branche vor, die weitreichende Auswirkungen für die Praxis haben können.

Sind das deutsche Arbeitnehmerüberlassungsgesetz bzw. die Zeitarbeits-Tarifverträge europarechtskonform?

Grundsätzlich regelt das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, dass Leiharbeitnehmer*innen im Betrieb des Entleihers für die Zeit der Überlassung die geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen wie für einen vergleichbaren Beschäftigten des Entleihers gewährt werden müssen (§ 8 Abs. 1 AÜG). § 8 Abs. 2 AÜG sieht die Möglichkeit vor, dass von diesem Gleichbehandlungsgrundsatz abgewichen werden kann, wenn zwischen Personaldienstleister und Zeitarbeitnehmer*in die Tarifverträge der Zeitarbeit (BAP/DGB oder iGZ/DGB) Anwendung finden. Im zugrunde liegenden Rechtsstreit wurde von einer Zeitarbeitnehmerin geltend gemacht, dass die gesetzliche Regelung sowie die Tarifverträge nicht europarechtskonform seien. Die Zeitarbeitnehmerin war befristet beschäftigt und erhielt einen geringeren Stundenlohn als die Stammmitarbeiter des entleihenden Unternehmens.

AÜG ist europarechtskonform

Der EuGH hat zunächst entschieden, dass das AÜG europarechtskonform ist. Gleichzeitig sei aber eine Einzelfallprüfung notwendig, ob die Zeitarbeitstarifverträge in ihrer Gesamtheit mit dem Niveau der Arbeits- und Entgeltbedingungen des jeweiligen Entleihers vergleichbar sind. Ist dies nicht der Fall, finde der Gleichbehandlungsgrundsatz Anwendung und nicht die Tarifbedingungen.

Differenzierung zwischen unbefristeten und befristeten Arbeitsverträgen

Bei der Einzelfallprüfung komme es auch darauf an, ob Zeitarbeitnehmer*innen befristet oder unbefristet beschäftigt sind. Denn im Gegensatz zu befristet Beschäftigten erhalten unbefristet Beschäftigte die Rechte und Leistungen aus dem jeweiligen Zeitarbeitstarifvertrag auch in verleihfreien Zeiten. Sie sind somit abgesichert. Das „weniger“ in Einsatzzeiten werde durch das „mehr“ in verleihfreien Zeiten ausgeglichen. In diesem Fall könne der Tarifvertrag dann auch hinter den Arbeits- und Entgeltbedingungen der Branche des Entleihers zurücktreten.

Bei befristet Beschäftigten sieht der EuGH das hingegen anders. Hier müsse jedes „weniger“ des Zeitarbeitstarifvertrags gegenüber der Entleiherbranche durch ein „mehr“ an anderer Stelle ausgeglichen werden. Bei weniger Lohn müsse der Tarifvertrag beispielsweise mehr Urlaub vorsehen.

Praxistipp:

Die Entscheidung des EuGH hat keine unmittelbaren Auswirkungen auf die deutschen Zeitarbeitsunternehmen, da es sich nur um ein sog. Vorabentscheidungsverfahren handelte. Es bleibt daher die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts abzuwarten. Um jedoch nachteilige Konsequenzen zu vermeiden, sollten Arbeitsverträge mit Zeitarbeitnehmer*innen nicht mehr befristet abgeschlossen werden.

Verfahrensgang:

EuGH, Urteil vom 15.12.2022, Az.: C-311/21

BAG, EuGH-Vorlage vom 16.12.2020, Az.: 5 AZR 143/19(A)

LAG Nürnberg, Urteil vom 07.03.2019, Az.: 5 Sa 230/18

ArbG Würzburg, Urteil vom 08.05.2018, Az.: 2 Ca 1248/17

Stand: 08.03.2023

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Änderung der VOB/B durch eigene AGB bedeutet Risiko der Unwirksamkeit

Das Kündigungsrecht des Auftraggebers bei Mängeln vor Abnahme der Leistung aus der VOB/B hält bei Verwendung durch den Auftraggeber der Inhaltskontrolle nicht stand, wenn die VOB/B nicht als Ganzes vereinbart worden ist. Wann aber gilt die VOB/B „als Ganzes vereinbart“? Das hat der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 19.01.2023 klargestellt.

 

Besonderes Kündigungsrecht aus VOB/B

Nachdem die Bauarbeiten begonnen haben, rügte der Auftraggeber die Qualität des verbauten Betons und verlangte Mängelbeseitigung. Nachdem die Mängel nach einer gesetzten Frist nicht beseitigt wurden, erklärte der Auftraggeber die außerordentliche Kündigung. Das Gericht musste sich nun damit befassen, ob der Auftraggeber sich bei der Kündigung auf § 4 Nr. 7 VOB/B beziehen durfte. Die genannte Bestimmung gibt das Recht, zu kündigen, wenn der Auftragnehmer die Mängel nicht fristgerecht beseitigt. Die Besonderheit liegt darin, dass entgegen dem Gesetz die Pflicht zur Mängelbeseitigung auch vor der vertraglichen Fertigstellungsfrist entsteht. Die Klägerin rügte, dass § 4 Nr. 7 VOB/B den Auftragnehmer unangemessen benachteiligt, § 307 BGB, und somit unwirksam ist.

VOB/B vs. AGB

Der Kern der Frage für die Praxis ist, ob einzelne Bestimmungen der VOB/B der AGB-Kontrolle unterliegen. Was dazu führt, dass einige Bestimmungen – wie hier – nach den §§ 307 ff. BGB unwirksam sind. Die Rechtsprechung hält an der sogenannten „Privilegierung“ der VOB/B fest, wonach einzelne – eigentlich unwirksame – Bestimmungen der VOB/B nicht durch § 307 BGB außer Kraft gesetzt werden können. Vorausgesetzt wird lediglich, dass die VOB/B als Ganzes vereinbart und nicht durch eigene AGB geändert wird.

Alles oder Nichts!

Wie bezieht man die VOB/B „als Ganzes“ in den Vertrag ein? Das BGH hat nun festgestellt, dass eine rein formelle Einbeziehung des VOB/B einerseits ausreicht. Der Verwender des Vertrages muss aber gewährleisten, dass der restliche Vertrag nicht den Bedingungen der VOB/B widerspricht. Dazu genügen auch kleinste Abweichungen von dem Text der VOB/B, so dass besondere Vorsicht geboten ist. Im vorliegenden Fall hat der BGH überraschenderweise einzelne Vertragsklauseln entdeckt, die den Inhalt der VOB/B modifizieren. So wurde (wie seit Jahren üblich) vereinbart, dass der Auftraggeber bei Abschlagzahlungen nur 90 % der nachgewiesenen Leistungen zahlen muss (10 % Vertragserfüllungssicherheit). Darin hat der BGH eine Modifizierung zu § 16 Nr. 1 Abs. 1 Satz 1 VOB/B gesehen, wonach Abschlagszahlungen – wie in § 632 a BGB – vollständig und ohne Abzug zu zahlen sind. Folglich wurde die VOB/B nicht als Ganzes einbezogen, wodurch die Inhaltskontrolle des § 307 BGB auf alle Bestimmungen der VOB/B stattfinden konnte.

Das Unangenehme für den Verwender von AGB ist dann nicht nur, dass einerseits Bestimmungen unwirksam sind, die zu Lasten des anderen Vertragspartners gehen, sondern auch, dass die Bestimmungen zu Lasten des Verwenders wirksam bleiben.

Praxistipp:

Wenn in Ihren Verträgen die VOB/B gelten soll, sind 2 Punkte zu beachten:

  1. Halten Sie vertraglich fest, dass die VOB/B als Ganzes in den Vertrag einbezogen wird.
  2. Lassen Sie Ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen dahingehend überprüfen, ob Ihre Vertragsklauseln nicht doch die Bestimmungen des VOB/B modifizieren.

Stand: 10.3.2023

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RA Boris Burtin Fachanwalt Baurecht & Architektenrecht • Grundstücksrecht & Immobilienrecht • Mietrecht & Wohnungseigentumsrecht • Bankrecht & Kapitalmarktrecht

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Wohnung wurde nicht rechtzeitig fertiggebaut, wie weit geht der Schadenersatz?

Stellt der Bauträger die Wohnung nicht rechtzeitig zur Verfügung, so steht Ihnen nicht nur Ersatz der länger gezahlten Miete, sondern Nutzungsausfallentschädigung für die nicht fertige neue Wohnung zu. Das OLG München bekräftigt in seiner Entscheidung vom 04.02.2022 (AZ: 20 U 2428/21) die Rechtslage.

Verzug des Bauträgers

Im vorliegenden Fall versprach der Bauträger dem Erwerber die Herstellung einer großen Eigentumswohnung. Wegen eines Mangels war die Wohnung jedoch nicht zum vereinbarten Zeitpunkt bezugsfertig. In diesem Zusammenhang verlangte der Erwerber für die nicht genutzte Wohnung eine Nutzungsausfallentschädigung, die ihm auch zugesprochen wurde.

Nutzungsausfallentschädigung

Bisher war die Nutzungsausfallentschädigung größtenteils im Bereich der Autounfälle bekannt. Wenn dem Geschädigten nach dem Zeitpunkt des Schadenseintritts keine Ersatzmöglichkeit zur Nutzung des Autos zusteht, kann er dafür Entschädigung verlangen. Dieser Gedanke wird in Anknüpfung an zwei BGH-Entscheidungen (veröffentlicht bei IBR 2014, 275 und 404) seit 2014 auch auf die Fälle des Bauträgerverzugs angewandt. Dem Erwerber einer Bauleistung steht Entschädigung für den Zeitraum zu, in dem ihm, nach dem Verzugseintritt, kein gleichwertiger Wohnraum zur Verfügung steht. Nach den Entscheidungen des BGH (VII ZR 172/13 und 199/13) besteht der Schaden darin, dass durch das Vorenthalten der neuen Wohnung die Lebensführung massiv beeinträchtigt sein kann („fühlbare Gebrauchsbeeinträchtigung“). Das kann die Größe der Wohnung, aber auch die Qualität betreffen.

Höhe der Nutzungsausfallentschädigung

Unbeantwortet bleibt die Frage nach der Höhe der Entschädigung im Einzelfall. Der BGH stellt klar, dass der Nutzungsausfall neben dem Schaden durch weitere Mietzahlungen geltend gemacht werden kann (aber darauf angerechnet werden muss). Der BGH stellt aber auch klar, dass für eine höhere Qualität in Form von besonderem Luxus oder reiner Liebhaberei kein Nutzungsausfall zu zahlen ist.

Praxistipp:

Verzug tritt ein, wenn eine vereinbarte Frist überschritten wird. Ein Verbraucherbauvertrag und ein Bauträgervertrag müssen verbindliche Angaben zum Zeitpunkt der Fertigstellung der Immobilie enthalten, sonst gelten die Angaben aus der zwingend zu übergebenden Baubeschreibung vor Abschluss des Vertrages. Im Übrigen genügt, neben anderen Gründen, die Mahnung mit einer angemessenen Fristsetzung, sobald der Bau vereinbarungsgemäß begonnen hat oder hätte beginnen sollen.

Stand: 01.03.2023

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Boris Burtin Fachanwalt Baurecht & Architektenrecht • Grundstücksrecht & Immobilienrecht • Mietrecht & Wohnungseigentumsrecht • Bankrecht & Kapitalmarktrecht

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Teilungsversteigerung der Ehewohnung während der Trennungszeit

Kann der in der gemeinsamen Ehewohnung mit den Kindern wohnende Ehegatte, während der Trennungszeit vor der Ehescheidung, die Teilungsversteigerung der Eigentumswohnung im gemeinsamen Mehrfamilienhaus verhindern? Der BGH (Beschluss vom 16.11.2022, Az.: XII ZB 100/22,) sieht eine Teilungsversteigerung der Ehegattenimmobilie in der Trennungszeit nicht generell als unzulässig an. Es kommt dabei auf die Abwägung der beiderseitigen Interessen an.

Was hatte der BGH zu entscheiden?

Im Streit stand die Zulässigkeit der Teilungsversteigerung einer im jeweils hälftigen Miteigentum der Ehegatten stehenden Immobilie während der Trennungszeit und vor Ausspruch der rechtskräftigen Scheidung. Nach dem Auszug des Ehemannes wohnte die Ehefrau mit den beiden gemeinsamen, teils minderjährigen Kindern weiter in der Ehewohnung, die sich in einem Mehrfamilienhaus befand, welches die Eheleute gemeinsam erworben hatten. Zudem besaßen sie ein Ferienhaus am Mittelmeer. Zur Finanzierung des Immobilienerwerbs nahmen die Eheleute einen Kredit auf. Der Ehemann beantragte die Teilungsversteigerung der Ehewohnung in der Trennungszeit. Die Ehefrau erhob dagegen einen Drittwiderspruchsantrag. Beide hatten einen Scheidungsantrag gestellt.

Streitig war damit zwischen den Beteiligten, ob der Schutz des räumlich-gegenständlichen Bereichs der Ehe und der bis zur Rechtskraft der Scheidung fortbestehende Charakter der ehelichen Immobilie als Ehewohnung (§ 1361b BGB) sowie das Rücksichtnahmegebot aus § 1353 Abs. 1 BGB einer Teilungsversteigerung in der Trennungszeit entgegenstehen.

Reichweite des Schutzes der Ehewohnung in der Trennungsphase

Der BGH sieht die schutzwürdigen Belange des teilungsunwilligen Ehegatten durch ein Schrankensystem aus materiell-rechtlichen Einwendungen nach §§ 1365, 1353 Abs. 1 Satz 2, 242 BGB, die im Drittwiderspruchsverfahren geltend zu machen sind und vollstreckungsschützenden Vorschriften im Teilungsversteigerungsverfahren nach § 180 Abs. 2 und 3 ZVG, § 765 a ZPO gewahrt.

Nach § 180 Abs. 4 ZVG kann durch Anordnungen nach Absatz 2, 3 das Verfahren auf insgesamt bis zu fünf Jahre einstweilen eingestellt werden. § 1361b BGB beinhaltet kein den Aufhebungsanspruch aus § 749 BGB behinderndes Recht. § 749 Abs. 1 BGB gewährt jedem Teilhaber einer Gemeinschaft nach Bruchteilen das Recht, jederzeit die Aufhebung der Gemeinschaft zu verlangen. Der Miteigentümer-Ehegatte, der mit der Versteigerung nicht einverstanden ist, kann seine Rechte oder Einwendungen in entsprechender Anwendung von § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG, § 771 ZPO  im Wege eines („unechten“) Drittwiderspruchsantrags geltend machen. Da die Eheleute weiteren Grundbesitz hatten, lag kein Fall des § 1365 Abs. 1 BGB vor.

§ 1353 Abs. 1 BGB verlangt indes eine umfassende Abwägung der beiderseitigen Interessen.

Praxistipp:

Die Entscheidung des BGH ist für Teilungsversteigerungsverfahren bei langer Trennungszeit maßgeblich, solange die Ehescheidung noch nicht erfolgt ist. Der BGH zeigt Entscheidungskriterien auf, die für die erforderliche Abwägung der Interessen der Eheleute an der Auflösung der Gemeinschaft oder dem Beibehalten der Ehewohnung heranzuziehen sind.

Befinden Sie sich gegenwärtig in der Situation, Miteigentumsverhältnisse aufzuheben, sei es wegen Trennung, Ehescheidung oder anderen Gründen, finden Sie bei uns rechtliche Unterstützung. Sie können uns dazu gern kontaktieren.

Stand: 15.02.2023

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Sylvia Sinning-Daeche (Rechtsanwältin)

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Haften Geschäftsführer*innen auf Zahlung des Mindestlohns?

Geschäftsführer*innen einer GmbH haben die Pflicht, dafür zu sorgen, dass die Gesellschaft ihren Beschäftigten Mindestlohn zahlt. Doch haften Geschäftsführer*innen auch gegenüber den Beschäftigten direkt, wenn diese keinen Mindestlohn erhalten? Dies entscheidet in Kürze das Bundesarbeitsgericht, nachdem zwei Landesarbeitsgerichte hierzu unterschiedlicher Meinung waren. In beiden Fällen hat ein Arbeitnehmer den Geschäftsführer einer zahlungsunfähigen GmbH in Anspruch genommen, nachdem ihm kein Lohn mehr gezahlt wurde.

Der Geschäftsführer haftet, so das Sächsische LAG

Im ersten Fall hat das Sächsische LAG mit Urteil vom 17.09.2019, 1 Sa 77/19, die Haftung des Geschäftsführers bejaht. § 1 MiLoG sei ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB. Verletze der Geschäftsführer die Pflicht, den Mindestlohn an den Arbeitnehmer auszuzahlen, so hafte er für die geleisteten Arbeitsstunden in Höhe des derzeit geltenden Mindestlohnsatzes.

Keine Haftung des Geschäftsführers nach dem Thüringer LAG

Anders sieht dies das Thüringer LAG in einem aktuelleren Fall (Urteil vom 09.02.2022, 4 Sa 223/19) und verneint einen Anspruch gegen den Geschäftsführer. Zum einen sei die Zahlung des Mindestlohns eine gesetzliche Pflicht, welche lediglich die Gesellschaft als Arbeitgeberin treffe. Zum anderen hafte der Geschäftsführer auch nicht gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 1 MiLoG, denn im vorliegenden Fall sei der Schutzzweck nicht gegeben. Das Mindestlohngesetz soll angemessene Arbeitsbedingungen sicherstellen und schütze deshalb vor der Zahlung unangemessen niedriger Löhne. Es schütze hingegen nicht den Arbeitnehmer vor einem gesamten Lohnausfall. Einen solchen habe der Arbeitnehmer aber gegenüber dem Geschäftsführer geltend gemacht.

Die Nichtzahlung oder nicht rechtzeitige Zahlung von Mindestlohn kann für den Geschäftsführer zwar eine Ordnungswidrigkeit gemäß § 9 Abs. 1 OWiG  i.V.m. § 21 Abs. 1 Nr. 9 MiLoG  nach sich ziehen. Hier werde aber nach Ansicht des Thüringer LAG  nur eine Strafbarkeitslücke und keine mögliche Haftungslücke geschlossen. Daher begründet auch die Ordnungswidrigkeit keinen Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 2 BGB.

Nun wird das Bundesarbeitsgericht hierzu eine Grundsatzentscheidung treffen. Die Revision ist dort unter dem Aktenzeichen 8 AZR 120/22 anhängig. Die Entscheidung wird für den 30.03.2023 erwartet.

Verfahrensgang:

BAG, anhängig unter 8 AZR 120/22, Entscheidung erwartet am 30.03.2023

LAG Thüringen, Urteil vom 09.02.2022, Az.: 4 SA 223/19

ArbG Gera, Urteil vom 12. Juni 2019, Az.: 1 Ca 66/18

Stand: 18.01.2023

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Ralf Stölzel (Rechtsanwalt, Steuerberater)

Sabine Stölzel (Rechtsanwältin, Fachanwältin für Arbeitsrecht)

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Keine Familienpflegezeit im Blockmodell

Die Auslegung von § 2 Abs. 1 S. 2 FPfZG  ergibt, dass dieser einen Anspruch auf Familienpflegezeit im “Blockmodell” nicht vorsieht. Für eine Aufteilung in Phasen von Vollarbeit und vollständige Freistellung besteht kein Rechtsanspruch, so das Arbeitsgericht Bonn am 27.04.2022 (Az.: 4 Ca 2119/21) .

Werden Angehörige pflegebedürftig, ist es für Beschäftigte oft eine schwierige Situation, die häusliche Pflege und den Beruf vereinbaren zu können. Um die Bedingungen für pflegende Angehörige zu erleichtern, hat der Gesetzgeber das Modell der Pflegezeit und das der Familienpflegezeit geschaffen. Während einer Pflegezeit können sich Beschäftigte bis zu sechs Monate vollständig von der Arbeit freistellen lassen. Im Rahmen der Familienpflegezeit besteht die Möglichkeit, die individuelle Arbeitszeit für bis zu 24 Monate zu verringern, sich also teilweise freistellen zu lassen. Eine Entscheidung, ob diese teilweise Freistellung auch im sog. Blockmodell, d.h. mit einer zeitweiligen vollständigen Freistellung von der Arbeit, möglich ist, hatte das Arbeitsgericht Bonn (Urteil, vom 27.04.2022, Az.: 4 Ca 2119/21 ) zu treffen.

Verteilung der Familienpflegezeit auf Zeitabschnitte?

Die Mutter des Arbeitnehmers ist pflegebedürftig (Pflegegrad der Stufe 2). Aus diesem Grund kündigte der Arbeitnehmer seinem Arbeitgeber die beabsichtigte Familienpflegezeit vom 01.01.2022 bis 31.12.2023 an. Die Verteilung sollte wie folgt sein: Vom 01.01.2022 bis zum 20.05.2022 wollte der Arbeitnehmer in Vollzeit arbeiten. Vom 21.05.2022 bis zum 13.08.2023 begehrte der Arbeitnehmer eine vollständige Freistellung von seiner Arbeitsleistung und in der Zeit vom 14.08.2023 bis zum 31.12.2023 eine weitere Beschäftigung in Vollzeit.

Familienpflegezeit nach § 2 FPfZG

Gemäß § 2 Abs. 1 FPfZG  sind Beschäftigte von der Arbeitsleistung für längstens 24 Monate (Höchstdauer) teilweise freizustellen, wenn sie einen pflegebedürftigen nahen Angehörigen in häuslicher Umgebung pflegen (Familienpflegezeit). Nach Satz 2 der Vorschrift muss die verringerte Arbeitszeit während der Familienpflegezeit wöchentlich mindestens 15 Stunden betragen.

Keine Familienpflegezeit im Blockmodell

Das Arbeitsgericht Bonn hat in diesem konkreten Fall entschieden, dass der Arbeitnehmer zwar grundsätzlich Anspruch auf Familienpflegezeit habe, aber nicht im gewünschten Blockmodell. Zu diesem Ergebnis kam das Gericht nach einer Auslegung der Anspruchsgrundlage.

Der Wortlaut des § 2 Abs. 1 S. 1 FPfZG  spreche von einer teilweisen Freistellung und einer verringerten Arbeitszeit von wöchentlich mindestens 15 Stunden. Bei lebensnaher Betrachtung seien beide Formulierungen ein Indiz dafür, dass eine vollständige Freistellung von der Arbeit im Blockmodell nicht beabsichtigt war.

Auch Beschäftigte mit wöchentlich variierenden Arbeitszeiten können Familienpflegezeit in Anspruch nehmen. § 2 Abs. 1 S. 3 FPfZG enthält für diesen Fall die Regelung, dass eine Durchschnittsbetrachtung vorzunehmen ist. Hieraus lasse sich nach Ansicht des Gerichts wiederum der Rückschluss ziehen, dass es in allen übrigen Fällen, in denen Beschäftigte eine regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit erbringen, gerade nicht auf die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit über einen längeren Zeitraum ankomme, sondern dass die Arbeitszeit pro Woche mindestens 15 Stunden betragen müsse.

Darüber hinaus hätte es der Unterscheidung zwischen teilweiser oder vollständiger Freistellung in § 3 Abs. 1 S. 1 PflegeZG nicht bedurft, wenn die Bestimmungen in § 3 Abs. 1 S. 1 PflegeZG und § 2 Abs. 1 S. 1 FPfZG die gleiche Rechtsfolge hätten.

Zudem wäre dann auch die aus Anlass der Covid-19 Pandemie eingeführte Sonderregelung in § 16 FPfZG nicht notwendig gewesen, nach der die wöchentliche Mindestarbeitszeit von 15 Wochenstunden vorübergehend unterschritten werden durfte.

Schließlich sei Sinn und Zweck des Gesetzes, dass Beschäftigte weiterhin am Arbeitsleben teilhaben und Anspruch auf Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung haben. Arbeitgeber könnten im Gegenzug weiterhin auf die Kompetenz und Erfahrung der Beschäftigten zurückgreifen.

Praxistipp:

Die Auslegung des Arbeitsgerichts ist überzeugend und ein wichtiger Wegweiser für Arbeitgeber, deren Beschäftigte Familienpflegezeit in Anspruch nehmen wollen. Denn beim sogenannten Blockmodell würden sich für Arbeitgeber sowie für Beschäftigte nicht unerhebliche Risiken hinsichtlich der Sozialversicherung und des Arbeitsentgelts ergeben, für Arbeitgeber insbesondere dann, wenn diese in Vorleistung gehen. Zudem ist eine Insolvenzsicherung, wie im Rahmen der Altersteilzeit, bei der Familienpflegezeit nicht vorgesehen.

Stand: 17.01.2023

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Arbeitgeber trifft bei Bewilligung von Kurzarbeitergeld die Pflicht zur Interessenwahrung

Arbeitgeber sind verpflichtet im sozialrechtlichen Verwaltungsverfahren über die Bewilligung von Kurzarbeitergeld die Interessen der betroffenen Arbeitnehmer zu wahren. Kommt der Arbeitgeber dieser Pflicht nicht nach, kann er sich nach § 280 Abs. 1 S. 1 BGB schadensersatzpflichtig machen. Das hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg mit Urteil vom 26.08.2022 (Az.: 12 Sa 297/22) gerichtlich festgestellt.

Fehlerhafte Angaben bei der Beantragung von Kurzarbeitergeld (KUG)

Zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer war eine monatliche Arbeitszeit von mindestens 100 Stunden vereinbart. Der Arbeitnehmer leistete aber regelmäßig deutlich mehr Stunden, nämlich zwischen 100 und 190 Stunden pro Monat. Zu Beginn der Coronapandemie führte der Arbeitgeber Kurzarbeit ein, wovon auch der Arbeitnehmer betroffen war. Der Arbeitgeber legte bei der Berechnung des Kurzarbeitergelds die nach seiner Auffassung vertraglich vereinbarte Arbeitszeit von 100 Stunden monatlich zugrunde.

Der Arbeitnehmer klagte daraufhin vor dem Arbeitsgericht auf Schadensersatz, da er der Ansicht war, sein Arbeitgeber habe unzutreffende Angaben zur Arbeitszeit bei der Bundesagentur für Arbeit gemacht.

Schadensersatz bei schuldhafter Pflichtverletzung des Arbeitgebers

Aus dem Arbeitsverhältnis entstammt die Nebenpflicht des Arbeitgebers, im Verwaltungsverfahren über die Bewilligung von Kurzarbeitergeld die Interessen der von Kurzarbeit betroffenen Arbeitnehmer zu wahren. Wird diese Pflicht vom Arbeitgeber schuldhaft verletzt, kann er sich schadensersatzpflichtig machen, so das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (Urteil vom 26.08.2022 [Az.: 12 Sa 297/22]).

Welche Pflichtverletzungen kann der Arbeitgeber hierbei begehen?

Kein eigenes Antrags- oder Klagerecht des Arbeitnehmers bei Kurzarbeitergeld (KUG)

Das Kurzarbeitergeld ist zwar ein Anspruch des Arbeitnehmers (§ 95 SGB III ). Es ist aber Aufgabe des Arbeitgebers, das Kurzarbeitergeld zu beantragen, zu errechnen und auszuzahlen (§§ 320 Abs. 1 S. 2 , 323 Abs. 2 S. 1 SGB III ) sowie für den Arbeitnehmer geltend zu machen. Der Arbeitnehmer hat im Verwaltungsverfahren bzw. im sozialgerichtlichen Verfahren kein eigenes Antrags- oder Klagerecht wegen der Bewilligung von höherem Kurzarbeitergeld.

Stattdessen wird der Arbeitgeber bei der Antragstellung und in einem etwaigen Rechtsmittelverfahren wegen der Bewilligung von Kurzarbeitergeld treuhänderisch für den Arbeitnehmer tätig. Aufgrund dieser treuhänderischen Stellung treffen den Arbeitgeber im Rahmen der Beantragung von Kurzarbeitergeld die in § 320 Abs. 1 SGB III genannten Pflichten. Ein Schadensersatzanspruch der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber kommt mithin in Betracht, wenn dem Arbeitgeber in diesem Pflichtenkreis von ihm zu vertretende Pflichtverletzungen unterlaufen.

Praxistipp:

Der Arbeitnehmer wird im Sozialverwaltungsverfahren und im sozialgerichtlichen Verfahren nicht beteiligt, wenn Ansprüche auf Kurzarbeitergeld geltend gemacht werden sollen. Die Verfahren führt der Arbeitgeber. Für Arbeitgeber ist es daher umso wichtiger, die ergangenen Bescheide der Bundesagentur für Arbeit zur Kurzarbeit nicht ohne weitere Prüfung durchzuwinken, sondern die Beantragung und Berechnung sowie auch die Bewilligung von Kurzarbeitergeld gewissenhaft durchzuführen und zu prüfen.

Durch unsere jahrelange Erfahrung als Steuerbüro mit eigener Lohnabteilung und unsere auf Arbeitsrecht spezialisierten Rechtsanwältinnen stehen wir Ihnen als kompetenter Ansprechpartner bei allen Fragen rund ums Thema Kurzarbeitergeld zur Verfügung.

Verfahrensgang:

Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt unter dem Aktenzeichen 8 AZN 618/22

LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 26.08.2022, Az.: 12 Sa 297/22 

ArbG Berlin, Urteil vom 02.02.2022, Az.: 29 Ca 7423/20

Stand: 14.12.2022

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Neuerungen für Arbeitgeber ab 2023

Das Jahr 2023 beginnt mit einigen Neuerungen, welche auf Arbeitgeber*innen zukommen. Wir haben die Wichtigsten kurz in alphabetischer Reihenfolge für Sie zusammengefasst:

Arbeitszeiterfassung

Nachdem das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 13.09.2022 bestätigte, dass Arbeitgeber*innen schon heute verpflichtet sind, Lage, Beginn, Dauer und Ende von Arbeitszeiten tatsächlich zu erfassen, gilt es, diese Entscheidung umzusetzen. Die bloße Bereitstellung eines Zeiterfassungssystems reicht dafür nicht aus. Das bereitgestellte System muss auch tatsächlich verwendet und genutzt werden. Weitere Einzelheiten hierzu können Sie unserem Fachbeitrag zum Urteil des Bundesarbeitsgerichts zur Arbeitszeiterfassung entnehmen.

Bescheinigungen für die Arbeitsagentur

Arbeitgeber*innen, die ab diesem Jahr Arbeitsbescheinigungen sowie Bescheinigungen über Nebeneinkommen an die Agentur für Arbeit übermitteln wollen, können dies nur noch elektronisch veranlassen und zwar unabhängig von Größe und Branche des Unternehmens. Ausnahmen bestehen nur für Arbeitsverhältnisse die vor dem Jahr 2023 ihr Ende gefunden haben sowie für vor 2023 zu bescheinigende Nebeneinkommen.

Einkommensteuertarif

Für das Jahr 2023 wurden zur Abmilderung von Steuermehrbelastungen die Eckwerte im Einkommensteuertarif angepasst. Dazu wurden der Grundfreibetrag auf EUR 10.908,00 und der Kinderfreibetrag auf EUR 8.952,00 angehoben. Der Freibetrag für den Solidaritätszuschlag liegt nunmehr für Alleinstehende bei EUR 17.543,00 und bei EUR 35.086,00 bei Zusammenveranlagung bzw. Steuerklasse III. Der Spitzensteuersatz beträgt 2023 EUR 62.810,00 jährlich.

Elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Ab 2023 können Arbeitsunfähigkeitsdaten von Arbeitnehmer*innen bis auf wenige Ausnahmen nur noch elektronisch bei den Krankenkassen abgerufen werden. Detailliertere Hinweise finden Sie auch in unserem Fachbeitrag zur Elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU).

Bemessungsgrößen Sozialversicherung

Die Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Krankenversicherung wurde zum 01.01.2023 auf EUR 59.850,00 jährlich festgesetzt. Dies entspricht einem monatlichen Einkommen von EUR 4.987,50 brutto. Auch die Grenze, bis zu welcher Arbeitnehmer*innen gesetzlich krankenversichert sein müssen (Versicherungspflichtgrenze), wurde angehoben und zwar auf EUR 66.600,00 jährlich, mithin EUR 5.550,00 monatlich.

Für die allgemeine Rentenversicherung wurde die Beitragsbemessungsgrenze auf monatlich EUR 7.100,00 in den neuen Bundesländern und auf EUR 7.300,00 in den alten Bundesländern angehoben. In der knappschaftlichen Rentenversicherung liegt die Einkommensgrenze nunmehr monatlich bei EUR 8.700,00 in den neuen und bei EUR 8.950,00 in den alten Bundesländern.

Hinweisgeberschutzgesetz

Voraussichtlich ab April 2023 wird das Hinweisgeberschutzgesetz in Kraft treten. Unternehmen ab 250 Beschäftigten sowie Finanzdienstleister müssen mit Inkrafttreten des Gesetzes eine interne Meldestelle eingerichtet haben, an welche Hinweise auf rechtliche Verstöße herangetragen werden können. Ab 17.12.2023 ist dies auch für Unternehmen ab 50 Mitarbeitern verpflichtend.

Hinzuverdienstgrenze bei vorgezogenen Altersrenten

Der Bundestag beschloss am 02.12.2022, die Hinzuverdienstgrenze bei vorgezogenen Altersrenten ersatzlos zu streichen. Frührentner*innen können demnach ab dem 01.01.2023 beliebig viel hinzuverdienen, ohne dass die Rente gekürzt wird. Bei Bezieher*innen von Erwerbsminderungsrenten steigt die Hinzuverdienstgrenze und kann je nach Einzelfall bis zu EUR 35.650,00 pro Jahr betragen.

Inflationsausgleichsprämie

Rückwirkend ab Oktober 2022 können Arbeitgeber*innen allen Mitarbeitenden zur Abmilderung der Inflationsauswirkungen eine steuerfreie Prämie zahlen. Diese ist auf maximal EUR 3.000,00 gedeckelt und kann bis zum 31.12.2024 auch in Teilbeträgen gezahlt werden. Weitere Einzelheiten hierzu finden Sie in unseren aktuellen Nachrichten zur Inflationsausgleichsprämie.

Kurzarbeitergeld

Bis Ende Juni 2023 ist es möglich, Kurzarbeitergeld zu erhalten, wenn mindestens 10% der beschäftigten Personen einen Arbeitsausfall von mehr als 10% haben. Dabei müssen keine negativen Arbeitszeitsalden aufgebaut werden. Diese Erleichterungen sind auch für Unternehmen möglich, die ab Oktober 2022 Kurzarbeit angezeigt haben oder nach mind. 3monatiger Unterbrechung wieder Kurzarbeit anzeigen müssen.

Lohnsteuerbescheinigung

Ab 2023 dürfen elektronische Lohnsteuerbescheinigungen nur noch mit der Steuer-Identifikationsnummer der Arbeitnehmer*innen an das Finanzamt übermittelt werden. Die bisherige eTIN fällt ab diesem Jahr weg.

Midijobs

Die Höchstgrenze für eine Beschäftigung im Übergangsbereich (sog. Midijob) wird ab Januar 2023 auf EUR 2.000,00 monatlich angehoben.

Pflegezeit

Eltern und pflegende Angehörige haben in Unternehmen mit mehr als 15 Beschäftigten Anspruch auf Pflegezeit nach dem Pflegezeitgesetz und in Unternehmen mit mehr als 25 Beschäftigten Anspruch auf Familienpflegezeit nach dem Familienpflegezeitgesetz.

Mit dem Gesetz zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige können nunmehr auch Arbeitnehmer*innen in Unternehmen mit weniger Beschäftigten die Inanspruchnahme von Pflegezeit bzw. Familienpflegezeit beantragen. Arbeitgeber*innen müssen nunmehr unabhängig von der Betriebsgröße innerhalb von 4 Wochen darauf reagieren und im Fall der Ablehnung diese begründen.

Dies gilt auch für Anträge auf flexible Arbeitszeitregelungen in der Elternzeit. Nach dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz besteht ein Anspruch auf Verringerung der Arbeitszeit zwar noch immer nur in Unternehmen mit mehr als 15 Arbeitnehmer*innen. Allerdings sind nunmehr auch kleinere Unternehmen verpflichtet, die Ablehnung eines entsprechenden Antrags zu begründen.

Sachbezugswerte für Unterkunft und Verpflegung

Auch die Sachbezugswerte für freie Unterkunft und Verpflegung wurden ab 2023 angepasst. Damit beträgt das zu berücksichtigende Arbeitsentgelt für die verbilligte oder unentgeltliche Verpflegung monatlich EUR 288,00. Dies entspricht jeweils EUR 2,00 für ein Frühstück und EUR 3,80 für ein Mittag- oder Abendessen je Kalendertag.

Der Sachbezugswert für eine Unterkunft wurde auf EUR 265,00 monatlich festgesetzt.

Unternehmensnummer in der Berufsgenossenschaft

Die bisherige Mitgliedsnummer wird zum 01.01.2023 durch eine 15stellige Unternehmensnummer ersetzt. Die Berufsgenossenschaften haben ihre Mitglieder im Jahr 2022 bereits entsprechend informiert. Sofern noch nicht geschehen, bitten wir unsere Mandanten um Mitteilung der Unternehmensnummer, da diese für die Zuordnung von Meldungen an die Berufsgenossenschaften erforderlich ist.

Stand: 01.01.2023

Ansprechpartner:

Sabine Stölzel (Rechtsanwältin, Fachanwältin für Arbeitsrecht)

Melanie Wilhelm (LL.M., Rechtsanwältin)

Kontaktdaten:

kontakt@stoelzel-gbr.de

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Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zur Arbeitszeiterfassung

Leitsatz: Drei Monate nach seiner viel diskutierten Entscheidung zur Arbeitszeiterfassung hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) die Entscheidungsgründe veröffentlicht (BAG, Beschluss vom 13.09.2022, Az.: 1 ABR 22/21). Danach ist klar: Arbeitszeiten sind ab sofort zu erfassen.

Ein Tätigwerden des Gesetzgebers ist diesbezüglich nicht mehr notwendig. Nicht geregelt bleibt aber weiterhin, ob die Pflicht zur Zeiterfassung auch für leitende Angestellte im Sinne des § 5 Abs. 3 BetrVG besteht und in welcher Form die Zeiterfassung erfolgen muss.

Ausgangspunkt

Ausgangspunkt der Entscheidung war der Antrag eines Betriebsrates auf Mitbestimmung zur Einführung eines elektronischen Zeiterfassungssystems. Der Betriebsrat bezweckte die gerichtliche Feststellung, dass ihm ein Initiativrecht zur Einführung eines elektronischen Zeiterfassungssystems zustehe. Das Landesarbeitsgericht Hamm hatte dem Antrag des Betriebsrates in seinem Beschluss vom 27.07.2021, 7 TaBV 79/20 stattgegeben. Die hiergegen eingelegte Rechtsbeschwerde hatte Erfolg, allerdings mit einer anderen Begründung als erwartet.

Entscheidung des BAG

Das BAG  stellte in seiner Entscheidung fest, dass ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates nur bestehe, sofern keine gesetzlichen oder tariflichen Regelungen existieren. Eine solche gesetzliche Regelung sieht das BAG hinsichtlich der Erfassung der Arbeitszeiten in § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG. Danach sei bei unionsrechtskonformer Auslegung von § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG jeder Arbeitgeber gesetzlich zur Erfassung der Arbeitszeiten seiner Arbeitnehmer verpflichtet.

Bedeutung für die Praxis

1. Erfassungspflicht

Ähnlich wie der Europäische Gerichtshof in seinem Stechuhr-Urteil ist also auch nach Auffassung des BAG Zeiterfassung eine Maßnahme des Arbeits- und Gesundheitsschutzes. Legt man § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG unionsrechtskonform (unter Berücksichtigung des EuGH-Urteils zur Arbeitszeiterfassung) aus, ist auch die Arbeitszeiterfassung Teil der geeigneten Organisation des Arbeitsschutzes.

2. Aufzeichnungspflicht

Die Daten aus der Arbeitszeiterfassung müssen aufgezeichnet werden, damit die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben zur Arbeitszeit (z.B. tägliche Höchstarbeitszeit, Pausenzeiten, Ruhezeiten etc.) überprüfbar sind. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, ein System einzuführen, mit dem Beginn und Ende und damit die Dauer der Arbeitszeiten einschließlich der Überstunden im Betrieb erfasst werden können.

Aus Arbeitgebersicht bedeutet dies zudem: Das zur Verfügung gestellte System zur Erfassung der Arbeitszeiten muss auch tatsächlich im Unternehmen verwendet und von den Arbeitnehmer*innen genutzt werden.

3. Gestaltung

Bezüglich des „Wie“ der Arbeitszeiterfassung besteht noch ein Gestaltungsspielraum. Voraussetzung ist allerdings immer die Verwendung eines objektiven und verlässlichen Systems. Das bedeutet, dass es nicht manipulierbar sein darf.

Statt einer Durchführung durch den Arbeitgeber selbst, kann eine Anweisung zur Selbstaufzeichnung an die Arbeitnehmer*innen erteilt werden. Die Zeiterfassung ist auch nicht zwingend elektronisch vorzunehmen, sondern kann derzeit noch auf Papier erfolgen. In diesem Fall ist jedoch darauf zu achten, dass die Aufzeichnungen mittels eines dokumentenechten Stiftes erfolgt (z.B. Kugelschreiber). Auch sollte sich der Arbeitgeber bewusst sein, dass eine Abzeichnung von „Stundenzetteln“ durch den Arbeitgeber grundsätzlich eine Duldung von Überstundenleistungen darstellt.

4. Umsetzung

Da das BAG seine Auffassung auf ein bereits bestehendes Gesetz stützt und zudem keine Übergangsfrist eingeräumt hat, ist die Arbeitszeit ab sofort zu erfassen.

5. Mögliche Ausnahmen

Wie dargestellt, stützt das BAG seine Entscheidung auf das Arbeitsschutzgesetz. Das Arbeitsschutzgesetz selbst schließt allerdings leitende Angestellte nicht von seinem Anwendungsbereich aus, sodass in der juristischen Literatur vertreten wird, dass der Beschluss des BAG dazu führt, dass auch leitende Angestellte Arbeitszeiten erfassen müssen.

Ob diese Ansicht rechtlich überzeugen kann, darf jedoch angezweifelt werden. Denn das BAG selbst verweist in seinem Beschluss nur auf „normale“ Arbeitnehmer nach § 5 Abs. 1 BetrVG, wohingegen kein Bezug auf leitende Angestellte genommen wird, die in § 5 Abs. 3 BetrVG definiert werden. Zudem verweist das BAG ausdrücklich darauf, dass die Richtlinien der Europäischen Union gewisse Ausnahmen von der Arbeitszeiterfassung durch den nationalen Gesetzgeber ermöglichen. Hiervon hat der Gesetzgeber bereits 1994 in § 18 Abs. 1 ArbZG auf Grundlage der damals geltenden Richtlinie 93/104/EG Gebrauch gemacht und leitende Angestellte ausdrücklich von der Anwendbarkeit des Arbeitszeitgesetzes ausgenommen.

Solange der deutsche Gesetzgeber die durch den EUGH vorgeschriebenen inhaltlichen Vorgaben zur Arbeitszeit nicht im Arbeitszeitgesetz –neu- geregelt hat, wird diese Frage nicht eindeutig beantwortet werden können.

Praxistipp:

Wir empfehlen, zunächst die Zeiterfassung für alle Arbeitnehmer*innen zumindest in Papierform anzuweisen. Hierzu sollte der Arbeitgeber Vorgaben hinsichtlich der festzuhaltenden (Mindest-)Daten machen, wie bspw. Beginn, Ende, Pause) und die Durchführung stichprobenartig kontrollieren.

Verfahrensgang:

BAG, Beschluss vom 13.09.2022, Az.: 1 ABR 22/21 

LAG Hamm, Beschluss vom 17.07.2021, Az.: 7 TaBV 79/20 

ArbG Minden, Beschluss vom 15.09.2020, Az.: 2 BV 8/20

Stand: 06.01.2023

Ansprechpartner:

Sabine Stölzel (Rechtsanwältin, Fachanwältin für Arbeitsrecht)

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