Urlaub: Keine Belehrung – keine Verjährung

Urlaub verjährt nur dann, wenn der Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt wird und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat. Das hat das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 20.12.2022, Az.: 9 AZR 266/20 ) aktuell entschieden.

Hinweispflicht des Arbeitgebers?

Eine Angestellte einer Steuerkanzlei nahm über Jahre hinweg (1996 bis Mitte 2017) nur teilweise ihren Jahresurlaub in Anspruch. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses erhielt die Arbeitnehmerin eine Abgeltung für 14 Urlaubstage. Nach ihrer Ansicht waren allerdings noch weitere 101 Urlaubstage übrig, für die sie ebenfalls eine Abgeltung verlangte. Diese Forderung machte sie gerichtlich geltend. Der Arbeitgeber war dagegen der Auffassung, die Urlaubsansprüche seien bereits verjährt.

Mit dieser Argumentation hatte der Arbeitgeber vor dem BAG keinen Erfolg.

Keine Belohnung für Pflichtverletzung

Die Vorschriften über die Verjährung (§ 214 Abs. 1 BGB , § 194 Abs. 1 BGB) finden zwar grundsätzlich Anwendung auf den gesetzlichen Mindesturlaub. Bei einer richtlinienkonformen Auslegung des § 199 Abs. 1 BGB beginnt die regelmäßige Verjährungsfrist jedoch erst mit Schluss des Jahres, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt und der Arbeitnehmer den Urlaub aus freien Stücken nicht genommen hat.

EuGH zur Verjährung von Urlaub

Mit der vorgenannten Rechtsprechung setzt das BAG die Vorgaben des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH, Urteil vom 22.09.2022, Az.: C-120/21 ) um. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist der Zweck der Verjährungsvorschriften die Gewährleistung von Rechtssicherheit. In der vorliegenden Fallkonstellation tritt dieser Zweck hinter dem Ziel von Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union zurück, die Gesundheit des Arbeitnehmers durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme zu schützen. Die Gewährleistung der Rechtssicherheit dürfe nicht als Vorwand dienen, um zuzulassen, dass sich der Arbeitgeber auf sein eigenes Versäumnis berufe, den Arbeitnehmer in die Lage zu versetzen, seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub tatsächlich auszuüben. Der Arbeitgeber könne die Rechtssicherheit gewährleisten, indem er seine Obliegenheiten gegenüber dem Arbeitnehmer nachhole.

Arbeitgeber kam Hinweispflicht nicht nach

In dem vom BAG (Urteil vom 20.12.2022, Az.: 9 AZR 266/20 )  zu entscheidenden Verfahren kam der Arbeitgeber diesen Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten nicht nach, sodass die Ansprüche weder am Ende des Kalenderjahres (§ 7 Abs. 3 S. 1 BUrlG ) oder eines zulässigen Übertragungszeitraums (§ 7 Abs. 3 S. 3 BUrlG ) noch mit Ablauf von drei Jahren verjährt sind.

Praxistipp:

Welche Konsequenzen hat die Entscheidung des BAG für die Praxis? Sie als Arbeitgeber müssen künftig Folgendes beachten und ihre Arbeitnehmer entsprechend informieren:

  • Wie hoch ist der noch verbleibende konkrete Urlaubsanspruch? Differenzieren Sie bereits hier zwischen gesetzlichem Mindesturlaub und dem zusätzlich vereinbarten Mehrurlaub (z.B. durch Arbeitsvertrag oder Betriebsvereinbarung). Europarechtliche und bundesgesetzliche Einschränkungen des Verfalls von Urlaub betreffen immer nur den gesetzlichen Mindesturlaub. Der Verfall von zusätzlich vereinbartem Mehrurlaub kann im Arbeitsvertrag oder in einer Betriebsvereinbarung sowie einem Tarifvertrag gesondert geregelt werden.
  • Fordern Sie Ihre Mitarbeiter*innen auf, die konkret bezifferten Urlaubstage noch bis zum Jahresende zu nehmen und weisen Sie daraufhin, welche Verfall- und Verjährungsfristen jeweils für den gesetzlichen Mindesturlaub und den zusätzlich vereinbarten Mehrurlaub gelten.
  • Der Hinweis muss so rechtzeitig erfolgen, dass der Arbeitnehmer seinen Urlaub auch tatsächlich noch nehmen kann.
  • Die Belehrung muss vom Arbeitgeber zu Nachweiszwecken dokumentiert werden.

Verfahrensgang:

BAG, Urteil vom 20.12.2022, Az.: 9 AZR 266/20 

LAG Düsseldorf, Urteil vom 21.02.2020, Az.: 10 Sa 180/19 

Arbeitsgericht Solingen, Urteil vom 19.02.2019, Az.: 3 Ca 155/18 

Stand: 23.12.2022

Ansprechpartner:

Sabine Stölzel (Rechtsanwältin, Fachanwältin für Arbeitsrecht)

Melanie Wilhelm (LL.M., Rechtsanwältin)

Kontaktdaten:

kontakt@stoelzel-gbr.de

+49 (0)351 486 70 70

 

 

 

 

 

Veröffentlicht in Arbeitsrecht, Fach-News, Urlaubsrecht.