Urlaub oder Quarantäne?

Müssen Urlaubstage im Fall der Quarantäne des Arbeitnehmers während seines genehmigten Urlaubs nachgewährt werden, auch wenn der Arbeitnehmer nicht arbeitsunfähig ist?

Diese Frage haben sich bereits mehrere Landesarbeitsgerichte stellen müssen und bislang einheitlich entschieden: Fällt die Quarantäne in den Zeitraum des genehmigten Urlaubs müssen Urlaubstage nicht nachgewährt werden. Denn es liegt keine Arbeitsunfähigkeit vor.

Das Landesarbeitsgericht Hamm (Urteil vom 27.01.2022, Az.: 5 Sa 1030/21)  sieht das anders und hat nun der Klage eines Arbeitnehmers stattgegeben und ihm die in den Zeitraum der Quarantäne fallenden Urlaubstage zugesprochen. Da das Urteil des Landesarbeitsgericht Hamm von den Urteilen anderer Landesarbeitsgerichte abweicht, wurde die Revision zum Bundesarbeitsgericht gem. § 72 Abs. 2 Ziff. 1, 2 ArbGG zugelassen. Die Revision wurde eingelegt, sodass das Verfahren nunmehr beim Bundesarbeitsgericht anhängig ist. Das Bundesarbeitsgericht hat am 16.08.2022 ein Vorabentscheidungsverfahren beim Europäischen Gerichtshof eingeleitet, um die Frage aus unionsrechtlicher Sicht klären zu lassen.

Urlaub während einer Covid-19-Quarantäne, wenn keine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorliegt

Der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Hamm liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Der Arbeitnehmer war beim Arbeitgeber als Schlosser beschäftigt und musste sich im Oktober 2020 als Kontaktperson aufgrund einer behördlichen Anordnung in Quarantäne begeben. In diesem Zeitraum lag auch der genehmigte Urlaub des Arbeitnehmers. Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung legte der Arbeitnehmer für den Zeitraum der Quarantäne nicht vor. Der Arbeitgeber sah die Urlaubstage während der Quarantäne als genommen an. Daraufhin verlangte der Arbeitnehmer vor dem Arbeitsgericht die Nachgewährung seiner Urlaubstage für den Zeitraum der Quarantäne.

Keine Gutschrift von Urlaubstagen während der Quarantäne

Das Arbeitsgericht Hagen (Urteil vom 28.07.2021, 2 Ca 2784/20) wies die Klage in erster Instanz ab. In der Berufungsinstanz vor dem LAG Hamm (Urteil vom 27.01.2022, Az.: 5 Sa 1030/21) hatte der Arbeitnehmer dagegen Erfolg.

Analoge Anwendung von § 9 BUrlG 

Nach Ansicht des LAG Hamm (Urteil vom 27.01.2022, Az.: 5 Sa 1030/21)  ist eine analoge Anwendung von § 9 BUrlG geboten. Es bestehe eine planwidrige Regelungslücke des Gesetzgebers und eine vergleichbare Interessenlage wie bei einer Erkrankung des Arbeitnehmers. Denn eine Erholung des Arbeitnehmers sei durch die Quarantäneanordnung unmöglich, da der Arbeitnehmer erheblich in seiner Freizeitgestaltung eingeschränkt sei und zudem jederzeit mit einem Krankheitsausbruch rechnen müsse. Der Arbeitnehmer sei krankheitsähnlich an der Wahrnehmung seines Urlaubs gehindert. Die Anordnung einer Quarantäne steht damit einer freien, selbstbestimmten Gestaltung des Urlaubszeitraumes diametral gegenüber, unabhängig davon, wie der einzelne Betroffene diese persönlich empfindet.

Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH

Das Verfahren ist derzeit beim Bundesarbeitsgericht anhängig, das ein Vorabentscheidungsersuchen (BAG, Beschluss vom 16.08.2022, Az.: 9 AZR 76/22) an den Gerichtshof der Europäischen Union gerichtet hat. Er soll die Frage beantworten, ob aus dem Unionsrecht die Verpflichtung des Arbeitgebers abzuleiten ist, einem Arbeitnehmer bezahlten Erholungsurlaub nachzugewähren, wenn der Arbeitnehmer zwar während des Urlaubs selbst nicht erkrankt ist, in dieser Zeit aber eine behördlich angeordnete häusliche Quarantäne einzuhalten hatte.

Verfahrensgang:

BAG, Beschluss vom 16.08.2022, Az.: 9 AZR 76/22

LAG Hamm, Urteil vom 27.01.2022, Az.: 5 Sa 1030/21

ArbG Oberhausen, Urteil vom 28.07.2021, Az.: 3 Ca 321/21

Praxistipp:

Die durchgehende Rechtsprechung der Landesarbeitsgerichte lehnt die Ansicht des LAG Hamm bislang ab und erkennt keine Vergleichbarkeit zwischen der Quarantäne und der Erkrankung eines Arbeitnehmers in Bezug auf die Gewährung von Urlaub. Ob das der EuGH auch so sieht, bleibt abzuwarten.

Weiteres zum Thema Urlaub und Quarantäne:

Stand: 16.09.2022

Ansprechpartner:

Sabine Stölzel (Rechtsanwältin, Fachanwältin für Arbeitsrecht)

Melanie Wilhelm (LL.M., Rechtsanwältin)

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